Um kurz nach acht verlasse ich das Høgkjølen Fjellcamp, denn es liegt viel Strecke vor mir. Die Anfahrt auf den Polarkreis ist geplant. Obwohl es zu dieser frühen Stunde Stunde schon klar ist, dass ich es an diesem Tag nicht schaffen werde, denn es sind über 600 km bis zum Arctic Circle Center. Ich nehme mir trotzdem vor, an diesem Tag so weit wie möglich zu kommen, ohne mich jedoch jetzt schon auf den Nordkap Highway E6 zu begeben und einfach nur Kilometer zu bolzen.
Daher überlasse ich meinem alten zümo die Wahl der Route. Und wenn es mich in den letzten Tagen immer wieder enttäuscht hat, weil es einfach mittlerweile so alt und so langsam geworden ist, dass die Nachberechnungen nicht so schnell erfolgen wie ich fahre, heute überrascht es mich positiv. Denn es wählt eine Route, die mich absolut begeistert. Kurz vor Trondheim biegen wir links ab Richtung Trondheimfjord, um dann mit der Fähre überzusetzen. Das erspart mir die Fahrt durch Trondheim und bringt mich in eine landschaftlich wundervolle Gegend. Kurz nach der Fähre veranlasst es mich, auf eine kleine Nebenstraße, die 720 einzubiegen. Und plötzlich sagt es mir, ich soll dieser Straße auf 76 km folgen. Das klingt gut, denn es verspricht eine lange Sequenz ohne Abzweigungen oder größere Ortschaften. Und in der Tat sollte es eine der schönsten Strecken dieser Tour werden. Norwegen wie im Bilderbuch: blauer Himmel, blaues Wasser, grüne Wiesen voller Blumen, üppige Wälder, rote Häuser, weidende Kühe. Die Idylle schlechthin. Auf den 76 km bin ich fast alleine auf dieser Straße. Mir kommen vielleicht zehn Autos entgegen und ich überhole ungefähr genauso viel. Also, die Straße gehört mir. Die schönsten Eindrücke dieser 76 km seht ihr hier:
Irgendwann ist leider auch diese schöne Strecke zu Ende und es bleibt mir nichts mehr anderes übrig, als mich auf die E6 zu begeben und einfach nur Strecke Richtung Norden zu machen. Denn es gibt hier keine großen Alternativrouten mehr. Fast alle, die auf dieser Straße noch unterwegs sind – Wohnmobile, Wohnwagen, Motorräder – sind Touris, die ans Nordkap wollen. Nicht, dass diese Route landschaftlich nicht interessant wäre, nein. Aber sie ist halt eine europäische Fernstraße und damit fahrtechnisch nicht besonders anspruchsvoll. Bis Mosjøen liegen noch knapp 300 km vor mir. Zeit genug, um über das Reisen in Norwegen zur Mittsommerzeit nachzudenken, und ein paar Erkenntnisse zu teilen:
Das Wetter. Mit ihm muss man Glück haben. Und ich habe unglaubliches Glück. Seit meiner Abreise ist jeder Tag eitel Sonnenschein bei sommerlichen Temperaturen. Selbst hier oben im hohen Norden.
Das Geld. Norwegen ist unglaublich teuer. Der Bedarf des täglichen Lebens ist etwa eineinhalb bis zweimal so teuer wie bei uns. Übernachten in Hotels, selbst mit einfachen Standard: kaum unter 200 € / Nacht zu haben. Und noch was: ohne Kredit- oder Debitkarte ist das Reisen in Norwegen unmöglich. Viele Geschäfte akzeptieren Bargeld überhaupt nicht mehr und auch Straßenmaut ist auf einigen Strecken nur per Karte entrichtbar. Das ist für deutsche Digitalisierungsverweigerer wichtig zu wissen.
Übernachten. Aus diesem Grund bietet sich übernachten auf Campingplätzen an, selbst wenn man kein eigenes Zelt dabei hat. Die Plätze sind meistens nicht sehr luxuriös doch bieten eigentlich alles, was man braucht. Vor allem: Hütten, die man mieten kann. Die gibt es von ganz einfach mit zwei Betten, einem Tisch und zwei Stühlen, bis zu etwas komfortabler mit einer kleinen Veranda und Platz für bis zu vier Personen. Trotzdem sind auch die teuer. Zahlt man für das aufstellen eines Zeltes auf einem einfachen Campingplatz so um die 30 €, so bezahlt man für eine einfache Hütte etwa 45. Daher lohnt sich das Aufstellen des Zelts eigentlich nicht. Für die komfortablen Hütten muss man pro Nacht schon zwischen 50 und 100 € anlegen.
Kulinarik. Wenn man in Norwegen nicht im Hotel mit einem angegliederten Restaurant übernachtet, sondern auf dem Campingplatz, dann gibt es da keine Verpflegungsmöglichkeiten. Im besten aller Fälle findet man einen Kiosk oder eine kleine Küche, die abends eine Fertigpizza backt. Also muss man sich nachmittags bereits im Supermarkt die entsprechenden Zutaten für ein kaltes Abendessen beschaffen. Auf die Dauer ist das natürlich kulinarisch kein Höhepunkt. Aber für ein paar Tage geht das auch.
Der Verkehr. Norweger fahren extrem diszipliniert. Die Höchstgeschwindigkeit auf allem was keine Autobahn ist (und davon gibt es wenig) liegt bei 80 km/h. Und hier fährt keiner 81. Und wenn, dann ist es ein Tourist. Das liegt an den drakonisch hohen Geldstrafen für Speeding. Allerdings habe ich auf der gesamten Reise keinen einzigen fest installierten Blitzer gesehen und auch nur zweimal ein Polizeifahrzeug und das war jeweils in einer Stadt.
Mittsommer. In dieser Jahreszeit ist es hier oben im Norden abends sehr lange hell und am Polarkreis wird es überhaupt nicht mehr dunkel. Das war auch einer der Gründe für diese Reise. Weil ich eben dieses erleben wollte. Und es ist schön, wenn es bis Mitternacht hell ist. Und wenn die Sonne dann tatsächlich untergegangen ist, weisst du, dass sie in einer oder zwei Stunden ein Stückchen weiter rechts wieder aufgeht. Aber das macht was mit deinem Bio Rhythmus. Durch die Helligkeit meint dein Körper, dass es noch nicht Zeit ist, schlafen zu gehen. Und so wird es fast jeden Abend Mitternacht, bis ich auf die Idee komme, schlafen zu gehen. Und wenn man dabei dann morgens trotzdem früh aufsteht, führt dies zu einer gewissen Müdigkeit den Tag über.
Trotz allem: ein Erlebnis.
Verweigern
OK
Diese Website verwendet Cookies. Bitte lesen Sie unsere Datenschutzerklärung für Details.